Seit vergangener Woche dürfen Geschäfte wieder öffnen. Zunächst schrittweise und unter sehr strengen Auflagen, die sich oft von Bundesland zu Bundesland unterscheiden und in der Praxis auch von Ladengeschäft zu Ladengeschäft unterschiedlich ausgelegt und umgesetzt werden.
Sowohl bei Konsumenten als auch bei Ladenbetreibern ist die Unsicherheit noch groß. Fakt ist: Corona wird uns noch Monate eventuell sogar Jahre begleiten. Als Einzelhändler sind daher – auch langfristig- nun einige Maßnahmen zu ergreifen um die eigene Gesundheit, sowie die der Mitarbeiter und der Kunden zu schützen. Der Einzelhandel nach Lockdown -ein Überblick:
Welche Geschäfte dürfen wieder öffnen?
Seit dem 20. April dürfen KfZ-Händler, Fahrradhändler und Buchhandlungen unabhängig von ihrer Verkaufsfläche wieder öffnen. Zusätzlich dürfen jene Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern wieder geöffnet werden. Die von Bundesland zu Bundesland ungleiche Handhabung, ob größere Ladengeschäfte durch Abgrenzungen und Verkleinerung der Ladenfläche auf maximal 800m² ebenfalls eröffnen dürfen, hat das Verwaltungsgericht in Hamburg inzwischen per Eilverfahren ausgeräumt: Eine Öffnung ist nun auch für größere Geschäfte erlaubt, solange sie ihre Verkaufsfläche unter Berücksichtigung der Hygienevorschriften auf maximal 800m² begrenzen. Ausgenommen sind nach wie vor unter anderem Bars und Diskotheken, Restaurants, Kosmetiksalons und Fitnessstudios. Wer darf öffnen, wer nicht?
Strenge Hygieneauflagen für alle, die öffnen
Die Umsetzung der Hygieneauflagen muss in jedem Fall gewährleistet sein. Oberstes Gebot ist es: Sich so gut wie möglich vor einer Infektion schützen. Die konkrete Umsetzung der Regelungen variiert in den jeweiligen Bundesländern. Zu den Internetseiten der Länder geht es hier. Einheitlich und bundesweit beschlossen wurde inzwischen auch die Maskenpflicht, deren Umsetzung jedoch von Bundesland zu Bundesland ein wenig variiert.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?
Voraussetzung für die Wiedereröffnung ist die Einhaltung der Arbeitsschutzstandard der Bundesregierung. In der Praxis bedeutet das:
- Der Arbeitgeber hat gegenüber seinen Beschäftigten eine arbeitsvertragliche Schutz- und Fürsorgepflicht. Deshalb muss er dafür sorgen, dass Erkrankungsrisiken und Gesundheitsgefahren im Betrieb so gering wie möglich bleiben. Diese Grundpflichten des Arbeitgebers ergeben sich aus §3 ArbSchG. Je nach Art des Betriebes – etwa in einem Betrieb mit viel Kundenkontakt – kann aus der Schutzpflicht zu einer konkreten Verpflichtung, zum Beispiel Desinfektionsmittel zur Verfügung zu stellen, folgen.
- ein Mindestabstand von 1,5 m zwischen den Kunden muss eingehalten werden können, dies gilt auch für Mitarbeiter. Ist der Mindestabstand zwischen den Arbeitsplätzen nicht einzuhalten, muss die Anzahl der Beschäftigten, die zeitgleich arbeiten, reduziert werden. Dies ist auch für Pausen oder Arbeitsbeginn und -ende relevant, diese müssen so organisiert werden, dass der Sicherheitsabstand zwischen den Beschäftigten, etwa in Pausenräumen oder an Raucherpunkten, immer eingehalten wird.
- Bei Zugangstüren, die nicht berührungslos öffnend sind, empfiehlt es sich diese offenstehen zu lassen bzw. fortlaufend zu desinfizieren
- Ab 27. April ist bundesweit eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, diese müssen für die Mitarbeiter als PSA zur Verfügung gestellt werden, Kunden sind selbst für ihren Mund-Nasenschutz verantwortlich
- Es muss ausreichend Desinfektionsmittel für die Mitarbeiter zur Verfügung gestellt werden.
- Die Präventions- und Arbeitsschutzmaßnahmen müssen umfassend an die Mitarbeiter kommuniziert werden. Die Schutzmaßnahmen müssen für alle erklärt und Hinweise für alle verständlich gemacht werden durch Bodenmarkierungen, Aushänge und Hinweisschilder. Auch auf die Einhaltung der persönlichen und organisatorischen Hygieneregeln (Abstandsgebot, „Hust- und Niesetikette“, Handhygiene, PSA) ist hinzuweisen. Für Unterweisungen sind auch die Informationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hilfreich. Hier gibt es beispielswiese auch Informationsmaterial das im Betrieb aufgehängt oder verteilt werden kann
Konkrete Maßnahmen im Geschäft
- Durch Bodenmarkierungen vor Kassen, Empfangs- oder Info-Schaltern, in Wartebereichen kann der Mindestabstand von 1,5 m eingehalten werden
- An allen Kontaktpunkten von Mitarbeitern und Kunden Trennscheiben bzw. Spuckschutz installieren zum Beispiel an Kassen oder Verkaufstheken
- Kontrollen einführen zur Sicherstellung der maximalen Kundenzahl und zur Gewährleistung der Einhaltung der Abstandsregeln (in der Praxis z.B. umgesetzt durch die Vergabe von Zugangskärtchen, die beim Verlassen des Ladens wieder abgegeben und desinfiziert werden)
- Wo möglich, Trennung und Markierung der Bewegungsbereiche der Mitarbeiter und der Kunden
- eine gesonderte Warenausgabe für Risikogruppen anbieten
- berührungslose Zahlungsmethoden anbieten und bevorzugen
- den Kunden informieren:
- Bargeldloses Bezahlen bedeutet Sicherheit für alle
- Abstand halten zu anderen und zu den Handelsangestellten schützt alle
- Einkauf für mehrere Tage planen, um Kontakte zu anderen Menschen zu reduzieren
- Hausrecht ausüben bei Personen, die die Regeln nicht einhalten
- durch rollierende Einsatzpläne den Mitarbeiterkontakt entzerren
- wo möglich Öffnungszeiten ausweiten und so die Frequenz zu reduzieren
- wenn möglich die Tätigkeiten ohne Kundenkontakt (z.B. Auffüllen von Regalen, Lager, Disposition etc.) außerhalb der Geschäftsöffnungszeiten legen
- die Mitarbeiter zu Hygienefragen und zu Verhaltensregeln regelmäßig schulen
- alle häufig zu berührenden Flächen (Griffe, Handterminals, Tastaturen, Touchscreens, Armaturen, Toiletten) regelmäßige und in kurzen Abständen desinfizieren
- Ausreichend Schutzmaterial (z.B. Mund-Nasen-Bedeckung, Handschuhe, Desinfektionsmittel etc.) zur Verfügung stellen und auf Lager haben
- Informationen über die einzuhaltenden Hygiene- und Schutzmaßnahmen gut sichtbar für Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten anbringen evtl auch in gängigen Fremdsprachen
- mobile Lösungen für Mitarbeiter und Kunden für häufiges Desinfizieren zur Verfügung stellen
- Einmal-/Schutzhandschuhe für alle Beschäftigten bereitstellen, die in Hautkontakt mit Kunden kommen bzw. für alle Beschäftigten, die in Kontakt mit gleichen Flächen wie Kunden oder andere Beschäftigte kommen (z.B. Dokumente, Bedien-Tastaturen, Touchscreens, …)
- Handschuhe bereitstellen für Kunden im Falle von „berührungs-affinen“ Sortimenten (Obst, Kleidung etc.)
- Räume regelmäßig belüften
- Wo möglich Parkplatzangebot an stark frequentierten Tagen verknappen (z.B. durch Leitkegel, Absperrpfosten und Absperrband) um die Kundenzahl zu regulieren
- Wo möglich Online-Abwicklung von Geschäftsvorgängen anbieten, ggf. mit Versandoptionen
Einzelhandel zieht Bilanz nach einigen Tagen
Ziemlich übereinstimmend berichten Einzelhändler in ganz Deutschland von relativ verhaltenen Besucherzahlen, der befürchtete (aber eben auch erhoffte) Kundenansturm blieb aus. Zu groß die Angst vor Ansteckung für die einen, zu „unentspannt“ das Einkaufserlebnis für die anderen: Gründe für die noch zurückhaltende Nachfrage gibt es einige. Der Einzelhandel reagiert darauf mit einer Mischung aus Frustration und Erleichterung. Kaum einer hat erwartet, dass die fehlenden Umsätze aus den vergangenen Wochen einfach „nachgeholt“ werden. Und doch ist die Situation für viele frustrierend. Im Vergleich zu normalen Zeiten beträgt der Umsatz nur 30 bis 50 Prozent. Immerhin: Die meisten erledigen gezielt Einkäufe, um den lokalen Einzelhandel zu unterstützen. Und gehen dann zügig wieder heim. Spontankäufe und Impulskäufe werden keine getätigt.
Mit der Situation umgehen lernen
Denn von einem entspannten und unbeschwerten Einkaufserlebnis sind wir noch himmelweit entfernt. Um die Anzahl der Kunden innerhalb der Ladenfläche zu begrenzen, werden beispielsweise am Eingang Zugangskärtchen ausgegeben. Diese werden beim Verlassen des Ladens wieder abgegeben und desinfiziert. Ist gerade kein Kärtchen verfügbar, heißt das: Vor der Tür warten. Das gemeinsame Einkaufen, womöglich sogar mit Kind(ern), ist damit eindeutig unentspannt. Zu groß auch die Unsicherheit: Was darf ich? Wo darf ich entlanglaufen, was darf angefasst werden? Vieles wird hinterfragt und mit dem Personal bzw. dem Sicherheitspersonal zum Teil auch leidenschaftlich diskutiert. Die neuen Regeln müssen erst erlernt werden. Hier sind Kunden wie Einzelhändler gleichermaßen unerfahren. Und so mancher Einzelhändler zeigt sich daher erleichtert über den mäßigen Kundenstrom. So lassen sich die Auflagen und Vorschriften einhalten und es drohen keine Bußgelder beziehungsweise, im worst case sogar die erneute Schließung des Ladens.
Auch Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW Kiel), zeigt sich erleichtert:
Und mittel- und langfristig?
Experten sehen einen harten Kampf. Denn die Ladenschließung betrifft eben nicht nur die Sommerkollektion, auf der der Handel größtenteils „sitzen bleiben“ wird. Nach Einschätzung von t3n beispielsweise ist ein Weihnachtsgeschäft, wie wir es kennen, dieses Jahr undenkbar. Viele fühlen sich in den Läden nicht ganz wohl, die Angst vor einer Ansteckung ist steter Begleiter. Wie lange die derzeit geltenden Maßnahmen wie Zugangsbeschränkungen, Laufwegemarkierung und ähnliches nötig sein werden, kann heute noch niemand absehen. Paradoxerweise wird es auch davon abhängen, wie konsequent wir als Kunden diese Einschränkungen akzeptieren und mitgehen. Ein Kreislauf: Gerade die eher „schleppenden“ Umsätze in den ersten Tagen nach Ladenöffnung können also auch ein gutes Zeichen sein – und Hoffnung für den Einzelhandel.
Quellen und zum Weiterlesen:
https://www.baua.de/DE/Themen/Arbeitsgestaltung-im-Betrieb/Biostoffe/Coronavirus.html
https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/corona-massnahmen-1734724
https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/corona-bundeslaender-1745198
Hier geht es zur Arbeitsschutz-Verordnung des BMAS
https://www.ihk-muenchen.de/corona-unternehmen-hygiene/
https://www.bghw.de/die-bghw/faq/faqs-rund-um-corona/#collapse3