5 Fragen an … Horizont

5 min lesen 04 November 2016
Mit dem Aktionsprogramm „Perspektiven für Frauen“ engagiert sich die Rajapack GmbH für drei Organisationen, die sich deutschlandweit für die Themen Ausbildung und Chancengleichheit im Beruf, Integration von Frauen und Mädchen sowie Schutz der Frauen vor Gewalt einsetzen. Wir stehen voll hinter der Arbeit jeder einzelnen Organisation und möchten ihnen hier Gelegenheit geben, sich und ihr Engagement ein wenig genauer vorzustellen.

Fragen an Jutta Speidel vom Horizont e.V.

Heute gehen unsere Fragen an Horizont e.V., die Initiative für obdachlose Kinder und ihre Mütter in München. Vielen Dank, Frau Speidel, für die Beantwortung unserer Fragen!

Wer ist die Person, die uns die Fragen beantwortet? Bitte stellen Sie sich kurz vor…

Die beliebte Schauspielerin Jutta Speidel hat den gemeinnützigen Verein HORIZONT vor 20 Jahren gegründet. Neben ihrer Arbeit für Film und Bühne, engagiert sie sich seither mit großem Einsatz für obdachlose Frauen und deren Kinder in München.

Können Sie uns den Lebensweg einer von Ihnen unterstützten Person beschreiben, der Sie besonders berührt hat?

Fast alle Mütter und auch Kinder, die zu uns kommen, sind traumatisiert, einige von ihnen stark. Sie haben einen Gewalt- oder Fluchthintergrund, sind geprägt von Angst und Erniedrigung. Natürlich gibt es immer wieder Fälle, die einen bis ins Innerste erschüttern, wenn diese Menschen etwa Dinge erlebt haben, deren Vorstellung allein für uns schon unerträglich ist.
Es gibt aber auf der anderen Seite auch immer wieder das besonders schöne Erlebnis, wenn wir es mit vereinten Kräften geschafft haben, eine Familie soweit zu stärken, dass sie irgendwann wieder den Schritt in die Gesellschaft macht, in ein eigenständiges Leben. Viele ehemalige Bewohner halten den Kontakt zu uns. Und auch das ist berührend, zu sehen, wie die Frauen und auch Kinder sich dann mit einer ganz neuen Perspektive weiter entwickeln können.“

In Frauenhäusern finden Frauen Schutz vor Gewalt und Missbrauch. Inwiefern gibt es Gemeinsamkeiten, wo liegen die Unterschiede Ihrer Arbeit?

„Auch das HORIZONT-Haus ist ein Schutzhaus. Indem wir den Aufenthaltsort nicht bekannt geben, versuchen wir, unsere Bewohnerinnen vor bestehender Gefahr bestmöglich zu schützen. Die Frauen, die mit ihren Kindern zu uns kommen, müssen allerdings den Status der Obdachlosigkeit zuerkannt bekommen haben. Sie werden uns dann vom Amt für Migration und Wohnen offiziell zugewiesen. Ein Unterschied liegt sicherlich darin, dass bei uns der Fokus auf Familien, also Müttern mit ihren Kindern, liegt. Wir haben keine Einzelzimmer, sondern 24 Wohnungen mit eigener Küche und Bad, die den Familien als Rückzugsort dienen und wo sie zur Ruhe kommen können. Erst mal geht es natürlich darum, durchzuatmen und ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen. Dann geht es darum, die Frauen und Kinder soweit auf allen Ebenen aufzubauen, dass sie irgendwann wieder in der Lage sind, in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Das fängt an mit Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags, z.B. durch Deutschunterricht, das Begleiten bei Behördengängen, Hausaufgabenbetreuung für die Schulkinder oder auch Kleinkinderbetreuung. Und ganz wichtig ist die Aufarbeitung von Traumata durch entsprechende Therapien. Wir haben ein starkes sozialpädagogisches Fachteam, die Bewohner sind bei uns rund um die Uhr betreut.“

Beschreiben Sie uns die Aufgaben und die Wichtigkeit eines Familiencoaches. Was war die Motivation für das Ins-Leben-Rufen dieses speziellen Projektes, das RAJA unterstützt?

Ein Familiencoach arbeitet mit der ganzen Familie als sensibles Gefüge, er fokussiert sich nicht nur auf z.B. ein Kind, das gerade verhaltensauffällig ist. Es geht um die gegenseitige Wahrnehmung, um innere Dynamiken und Mechanismen. Wir erleben es häufig, dass Mütter durch die Erlebnisse der Vergangenheit so stark belastet sind, dass Sie nicht in der Lage sind, ihren Kindern gegenüber eine verlässliche oder liebevolle Rolle einzunehmen. Viele Frauen haben keine Unterstützung durch das Elternhaus, da kein Kontakt besteht. Im Umgang mit ihren Kindern fühlen sie sich überfordert und allein gelassen. Sie haben große Schwierigkeiten bei der Erziehung, z.B. beim Vorgeben fester Strukturen, dem Setzen von Grenzen und dem Vermitteln von Zuverlässigkeit. Eine positive Entwicklung der Kinder ist damit gefährdet. In solchen Fällen ist es mit punktuellen Hilfestellungen nicht getan. Es braucht eine ganzheitliche, systemische Analyse, Betreuung und Aufarbeitung durch einen Familiencoach.“

HORIZONT e.V. wurde 1997 von Ihnen ins Leben gerufen. Was war die ursprüngliche Motivation für Sie, gab es ein konkretes Erlebnis?

Ich habe HORIZONT gegründet, nachdem ich bei meiner Arbeit zufällig in einer Münchner Obdachlosenunterkunft mit dort untergebrachten Kindern zusammengetroffen bin. Das war für mich ein ganz schockierendes und einschneidendes Erlebnis. Das ist jetzt mittlerweile 20 Jahre her. Wir haben seither viel gekämpft und vieles erreicht, aber darauf wollen wir uns nicht ausruhen. Jetzt zum Beispiel bauen wir gerade ein zweites HORIZONT-Haus. Nach wie vor bin ich ja als erste Vorsitzende ganz aktiv, entwickle die Visionen und treibe neue Projekte gemeinsam mit meinem Team voran.“

Können Sie uns den Lebensweg einer am Projekt beteiligten Person beschreiben, der Sie besonders berührt hat? Warum wird die Arbeit des Familiencoaches die Situation der Familien langfristig verändern?

Die Mütter werden durch den Familiencoach individuell unterstützt und entlastet, indem ihnen Erziehungsmethoden aufgezeigt werden und Vorgehensweisen im Umgang mit den Kindern. Es ist ganz wichtig, Auffälligkeiten zu analysieren und sichtbar zu machen, damit dann gemeinsam weitere nötige Schritte beschlossen werden können. Die Arbeit mit dem Familiencoach wird die Frauen stärken und ihnen Selbstsicherheit vermitteln. Sie wird ihnen helfen, den Alltag besser zu strukturieren. Und sie wird ihnen helfen, auf die Bedürfnisse der Kinder nach Liebe, Verständnis und Geduld besser einzugehen. Wir wollen die Familienstruktur stärken, damit alle Voraussetzungen gegeben sind für einen positiven Lebensweg aller Familienmitglieder, auch nach der Zeit im HORIZONT-Haus.“

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